Hier werden Sie regelmäßig informiert über deutsch-norwegische Literatur. Mit Auszügen aus Büchern in deutscher und norwegischer Sprache.
Vigdis Hjorth – die vielfach ausgezeichnete Autorin in der Buchhandlung Jost zu Gast bei der Deutsch-Norwegischen Gesellschaft und der Skandinavistischen Abteilung der Bonner Universität
Da haben sich viele gefreut: zuerst wohl unser Gast, die norwegische Schriftstellerin Vigdis Hjorth, sodann die überraschend zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörer (unter denen waren auch etliche Mitglieder der DNG), schließlich die Mitarbeiterinnen der Bonner Buchhandlung Jost, die sich aktiv mit dem Arrangement dieses Abends befasst hatten. Gefreut hat sich ebenso unser Vorstandsmitglied PD Thomas Fechner-Smarsly von der Skandinavistischen Abteilung der Bonner Universität, der nicht zum ersten Mal eine Lesung zur neuen norwegischen Literatur moderierte und nun darüber zu einem Buch mit Vigdis Hjorth sprach.
Es ging vor allem um „Die Wahrheiten meiner Mutter“, auf Norwegisch „Er mor død, Ist Mutter tot“, auf Deutsch jetzt bei S. Fischer erschienen und von der uns gut bekannten Gabriele Haefs übersetzt; sie hat ja schon mehrfach im „dialog“ geschrieben. Zudem hatte Åse Birkenheier in unserem Mitgliedermagazin bereits Bücher von Vigdis Hjort besprochen.
Zu deren Lebensgang nur kurz so viel: Sie kam 1959 in Oslo zur Welt, studierte dort Ideengeschichte, Politikwissenschaften und Literatur, schloss mit einem cand. mag. ab. Und schrieb gleich nach dem Ende des Studiums ihr erstes Buch, etwas für Kinder (inzwischen hat sie deren drei). Bereits ihr zweiter Titel erschien 2011 unter „Tilla liebt Philipp“ bei Sauerländer in deutscher Übersetzung. Auch wurde er bald verfilmt. Bücher von ihr gibt es nicht nur in unserer Sprache, sondern auch im Dänischem, Isländischen, Schwedischen, Russischen und im Ukrainischen.
Vigdis Hjorth ist extrem aktiv. Fast jedes Jahr gibt es von ihr ein neues Buch. Die Zahl der Preise, die sie seit 1983 in ihrem Heimatland für ihre Kreativität bekam, ist beträchtlich, darunter der Debutantpreis des Kulturdepartementets, der Kritikerpreis für das beste Kinderbuch, der Aschehougpris, der Cappelenpris und der Gyldendalpris (angelehnt an drei große Osloer Verlage), ein Preis der Tageszeitung Klassekampen, später der Bokhandlerpris und der Doblougpreis – und das ist nur eine Auswahl!
Nach Jahren in Kopenhagen, im norwegischen Bergen, in der Schweiz und in Frankreich lebt sie nun in Asker nahe Oslo.
Am Abend in der Buchhandlung Jost stand der erwähnte Roman „Die Wahrheiten meiner Mutter“ im Mittelpunkt. Vigdis Hjorth las daraus auf Norwegisch mehrere Abschnitte vor; Thomas war für den Blick in deren deutsche Übertragung zuständig. Dazwischen gab es Dialoge zwischen den beiden, um manches aus den Handlungen, vor allem zur Beziehung zwischen der nach langer Zeit heimgekehrten Tochter und deren kühler Mutter besser zu verstehen. Dazu wird es im Publikum ganz abweichende Eindrücke und Meinungen gegeben haben; einige kamen in einer abschließenden Runde zur Sprache. Dass es im Buch offenbar durchweg mor für Mutter heißt, sagt (wenigstens für unsere Ohren) schon etwas über die Distanz zu ihr.
Wer mehr über Einstellungen deutscher Leserinnen und Leser erfahren will, suche bei amazon unter dem deutschen Titel des Buches nach. An anderer Stelle gibt es diese Urteile: „Ein erschütternder und zwingender Roman über das gespannte Band zwischen Töchtern und Müttern“, so die Stimme von „The New York Times Book Review“ Und „The New Yorker“ meinte: „Vigdis Hjorth erzählt drastisch von unseren zerrütteten Beziehungen, von Sehnsucht und Enttäuschung und davon, wie man der Vergangenheit begegnet, ohne sich selbst aufzugeben. (…) Eine der herausragendsten Autorinnen Norwegens.“
Es war ein Gewinn, solch eine Autorin in Bonn zu sehen und zu hören. Einen sehr herzlichen Dank an Vigdis Hjorth und an alle, die daran mitgewirkt haben. Dass das Buch an diesem Abend oft gekauft (und gern signiert) wurde, war nur ein und nicht unwichtiger Beleg für die bemerkenswerte Resonanz.
Eckart Roloff
Jon Fosse, ausgezeichnet mit dem Nobelpreis für Literatur 2023
Was für ein Tag - für Norwegens Welt und viele, viele andere Welten. Was er geschaffen hat, liegt in 50 Sprachen vor, in rund 900 Übersetzungen und einer großen Zahl von Inszenierungen für renommierte Bühnen. Er hat nämlich nicht nur Bücher geschrieben, meist Romane sehr unterschiedlicher Art, sondern auch viele Theaterstücke, ferner Essays, Hörspiele und nicht wenig für Kinder - die Zahl der seinen beträgt fünf. Musik, selbst gespielt oder adaptiert, hat für ihn eine erhebliche Bedeutung. Jetzt macht noch mehr als vorher und nicht allein in Norwegen die Runde, wer Jon Fosse ist, der 1959 in Haugesund zur Welt kam und mit zwei Schwestern im Nest Strandebarm im Vestland aufwuchs. Schon als Zwölfjähriger schrieb er seine ersten Texte. Und nun diese Krönung: der Nobelpreis für Literatur.
Als dies am vergangenen Donnerstag, dem 5. Oktober, gegen Mittag bekannt wurde und unzählige Medien fast in der gesamten Welt die Meldung aufgriffen, war ein Kamerateam des NRK, des norwegischen Rundfunks, durchaus vorausschauend an diesem Tatort dabei: im Verlag Det Norske Samlaget in Oslo, dort also, wo viele seiner meist in Nynorsk (das verdient ein Ausrufezeichen!) verfassten Schriften verlegt wurden. An die zehn meist jüngeren Leute waren da versammelt. Ihre Überraschung, ihr Jubel, ihr Stolz fand kaum eine Grenze. NRK zeigte das am Abend in "Dagsrevyen", der Hauptnachrichtensendung. Es gab dort an die zehn Beiträge zu hören, das Thema in den 45 Minuten dieses vielgesehenen Programms. Bei uns kam das in etlichen Nachrichten natürlich auch vor. Am Tag der Bekanntgabe aus Stockholm stieg die Summe der Treffer in der deutschen Wikipedia auf 80.000, am Tag davor waren es 176.
Über ihn gibt es so viel zu erzählen; das passt in keine Nachrichtensendung. Etwa, dass er schon viele hohe Auszeichnungen erhielt, darunter - aus unserer Sicht besonders zu erwähnen - 2016 den Willy-Brandt-Preis und 2017 den Preis der Stadt Münster für internationale Poesie (dieser wurde ihm und wie auch seinem deutschen Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel zuerkannt). Schmidt-Henkel, der so kundig ist, dass er Werke auch aus dem Französischen und Italienischen überträgt, war bereits Gast der DNG; und zwar am 7. Mai 2012 an der Uni Bonn mit Erzählungen über seine Übersetzungstätigkeit aus dem Norwegischen mit einer Lesung aus Büchern von Jo Nesbø und Kjell Askildsen - nur zwei Beispiele für Stimmen aus dem großen Buchland Norwegen. Auch an der Seite norwegischer Autoren, für die er arbeitete, war er bei uns, so in der Parkbuchhandlung in Bad Godesberg.
Fosse selbst war auch als Übersetzer tätig, zum Beispiel bei Werken von Kafka, Rilke, Trakl und zuletzt von Peter Handke. Als eines seiner literarischen Vorbilder sieht er den bis heute oft aufgeführten Ibsen an. Er, der 1906 starb, hat den Nobelpreis nie bekommen.
In vielen Beiträgen war jetzt zu erfahren, dass Fosse der vierte norwegische Nobelpreistäger für Literatur ist. Ist das viel oder wenig? Ungesagt blieb meist, wer die anderen drei sind. Hier seien sie genannt: der oft als Nationaldichter bezeichnete Bjørnstjerne Bjørnson. Auf ihn geht der Text der Nationalhymne Ja, vi elsker dette landet zurück. Darüber hat der unvergessene Heiko Uecker 2010 vor unserer Gesellschaft berichtet. Bjørnson, auch politisch höchst aktiv und geschätzt, bekam den 1901 erstmals vergebenen Preis als erster Skandinavier bereits 1903. Knut Hamsun (über ihn hat Heiko besonders viel geforscht) folgte 1920, Sigrid Undset 1928 - und danach die große Pause von 95 Jahren bis jetzt.
Ich mag hier nicht darauf eingehen, was Fosses extrem vielfältige und keineswegs handliche Schöpfungen angeht. Das übersteigt meine Kenntnisse, meine Einsichten, mein Urteilsvermögen. In unseren Zeitungen und ohnehin im Internet ist viel darüber zu finden. Aber freuen (und das sehr) darf ich mich schon über diese Ehrung, und das sicher mit vielen aus unserer DNG.
Eckart Roloff
Was für ein Stoff: ein Roman über Rentiere und mehr
Ann-Helén Læstadius: Das Leuchten der Rentiere. Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Maike Barth und Dagmar Mißfeldt.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2022. 447 Seiten, 25,00 Euro.
In den folgenden Zeilen will ich auf ein Buch aufmerksam machen, doch das geht am besten erst nach zwei Bemerkungen vorab. Die eine sagt, dass ich zwar schon viele Buchbesprechungen geschrieben habe, auch für den „dialog“ der DNG. Doch darunter war, wenn ich nicht irre, nie eine Besprechung (auf Norwegisch heißt das übrigens „anmeldelse“) zu einem Roman.
Weshalb nicht? Nun, das ist nicht so mein Metier. Ich halte mich berufsbedingt viel eher an Sach- und Fachbücher. Zweitens habe ich den Roman, um den es hier geht, noch nicht zu Ende gelesen. Viele seiner rund 450 Seiten liegen noch vor mir.
Trotz dieser Einschränkungen möchte ich (und das gern) hinweisen auf „Das Leuchten der Rentiere“ von Ann-Helén Læstadius. Die Autorin, Jahrgang 1971, ist gebürtige Sámi, lebt freilich mit ihrer Familie in Solna bei Stockholm. Dort arbeitet sie als Journalistin und Autorin. Nach etlichen, oft prämierten Kinder- und Jugendbüchern ist dies ihr erster Roman, im Original trägt er den Titel „Stöld“ (für Diebstahl, darin mag unser Wort „stehlen“ stecken).
Diese Werk, in Jahren erarbeitet, wurde rasch ein großer Erfolg und in Schweden 2021 bei Bonniers Bokklubbar sogar als Årets bok, als Buch des Jahres, ausgezeichnet. Zur Begründung hieß es: „Packend und bewegend bis zur letzten Seite. Ein einzigartiger Roman über die Schönheit der Natur und die Verletzlichkeit der Menschen.“
Gut, dass schon jetzt die Übersetzung ins Deutsche vorliegt. Maike Barth und Dagmar Mißfeldt haben das für den Verlag Hoffmann und Campe geschafft. Soweit ich dies beurteilen kann, da ich weder das Original kenne noch Schwedisch beherrsche, ist Ihnen eine glänzende Arbeit gelungen. Ihre Übertragung liest sich äußerst gut und flüssig, sie geht sehr nahe, ist offenbar authentisch auch wegen der oft genutzten Alltagssprache. Es wird klar, wie die Sámi denken und fühlen, was sie bewegt, wie sie sich mitteilen – und auch, was sie für sich behalten.
Die schwedische Zeitung „Expressen“ zeigte sich (übersetzt) mit diesen Worten beeindruckt: „Eine Geschichte, die erzählt werden musste. Und wie sie erzählt wird: in einer unvergesslich wunderschönen Sprache.“
Nun zum Kern des Bandes. Im Mittelpunkt steht die neunjährige Sámi Elsa. Sie muss erleben, wie ihr Rentier, Nástegallu mit Namen, getötet wird. Und sie bekommt mit, dass der Täter ihr noch am Tatort ein Zeichen gibt. Ihrer Familie will sie dazu nichts Näheres sagen, auch nicht der Polizei. So hat die kaum Chancen, etwas zu unternehmen und die Sache aufzuklären.
Wie so viele Tiere zuvor gilt auch Nástegallu als gestohlen. Erst als die Sache noch ernster wird, ist Elsa stark genug, sich ihrer lange unterdrückten Schuld, ihrer Angst und Wut zu stellen. „Aber wird sie etwas ausrichten können gegen die Gleichgültigkeit der Behörden, die Brutalität der Täter und nicht zuletzt die Missbilligung der traditionell denkenden Sámi, für die das alles keinesfalls Frauensache ist?“ lese ich dazu schon mal in einem Text – doch soweit bin ich auf den entsprechenden Seiten noch nicht.
Das Buch enthält ein Glossar mit samischen Vokabeln wie Áddjá (für Großvater), Nuvttahat (Schuhe aus Rentierleder) und Vaja (kleine Rentierkuh). Das hilft, dergleichen Begriffe zu verstehen. Nur gibt es für die 86 Kapitelüberschriften von Okta über Golbmalogiovcci bis Gávcclogiguhtta leider keine Übersetzung. Sie bleiben rätselhaft.
Hier noch Auszüge aus drei deutschen Eindrücken zu Læstadius‘ Buch: „An diesem grandiosen Buch kommt niemand vorbei, der sich für die Kultur der Sámi und die Tierwelt im äußersten Norden Skandinaviens interessiert“, so eine Rezension im WDR. „Ein zarter Hauch von Magie übertupft den Realismus wie frischer Puderschnee matschige Rentierspuren“, schrieb die FAZ dazu. Und im „stern“ war zu lesen: „Spannend: Ann-Helén Laestadius erzählt in ,Das Leuchten der Rentiere‘ vom Leben am Polarkreis und von strukturellem Rassismus.“
Wieweit Ann-Helén Læstadius mit dem schwedischen Botaniker und evangelischen Prediger Lars Læstadius (1800 – 1861) zu tun hat, weiß ich nicht. Dessen Mutter war Sámi; er wuchs in deren Land auf. Auf ihn führt sich die auch in Norwegen bekannte Bewegung der sehr gläubigen Laestadianer zurück.
Eckart Roloff
Der Karikaturist und Maler Olaf Gulbransson: Ein Künstler zwischen Norwegen und Bayern –
Bayern und Norwegen. Eine neue Biografie zeichnet sein Leben nach
Von Heinrike Paulus
„Olaf Gulbransson war ein großer Liebender, ein Liebender des Lebens, der Menschen, der Natur, der Kunst – und natürlich auch der Frauen“, schreibt der Literaturwissenschaftler Gerd Holzheimer zu Beginn der neuen, lesenswerten Biografie über den genialen Zeichner, Maler und renommierten Karikaturisten (1873-1958). Sie ist die erste, die das gesamte Leben des Künstlers in den Blick nimmt, der voller Widersprüche steckte, sich gern inszenierte und nie an Konventionen hielt.
Im Herbst 1902 holte der Verleger Albert Langen den jungen Norweger „in die südliche Stadt“ – wie Gulbransson die bayerische Stadt München einmal nannte – zur berühmten Satire-Zeitschrift „Simplicissimus“. Er sollte ihr berühmtester Mitarbeiter werden; über 2400 Zeichnungen im Laufe von 42 Jahren entstanden. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich Gulbransson bereits in seiner norwegischen Heimat durch erste Veröffentlichungen in Satire-Zeitschriften wie „Trangviksposten“ einen Namen gemacht. Knut Hamsun, Bjørnstjerne Bjørnson und Edvard Munch gehörten zu seinen Freunden und Förderern.
Bis heute begeistert viele Gulbranssons klarer und eindeutiger Strich. Ihm gelang es, einen Menschen mit wenigen, ausgewählten Strichen zu charakterisieren, ohne ihn dabei zu verletzen: „Übrigens verstehe ich nicht, warum die Leute böse über Karikaturen sind. Ein Gesicht, das sich nicht karikieren lässt, widert mich an. Es kommt daher, dass es überhaupt keinen Ausdruck hat.“ Seine minimalistischen Zeichnungen waren für ihn „Lebenselixier“ und „bevorzugtes Kommunikationsmittel“.
Auf seine Zeitgenossen soll Gulbransson imposant gewirkt haben und war doch nicht einmal 1,80 Meter groß. Im Sommer lief er am liebsten nackt herum, galt als ausdauernder Trinker, Schwimmer, Skifahrer und kostete die sinnlichen Genüsse des Lebens aus.
Der Tegernsee, rund 50 Kilometer südlich von München, wurde für den Künstler zur Wahlheimat. Im Winter 1902 kam er das erste Mal dorthin. Rasch gelang es ihm, ein Paar Ski zu ergattern. Von einem Bauern lieh er sich außerdem Planken, um eine Sprung-schanze – oder „Spring“ wie Gulbransson sie bezeichnete – zu bauen. Es war die erste in Bayern überhaupt, wie Gerd Holzheimer beim Deutschen Alpenverein herausfinden konnte. „Tatsächlich wird später, 1948, genau an dieser Stelle eine wirkliche Schanze gebaut.“
Doch Gulbransson gelangen die Sprünge nicht wirklich, was aus den Erinnerungen seines „Simplicissimus“-Kollegen Korfiz Holm (1872-1942) zu schließen ist: „Ich sah mit Staunen zu, wie er dann auf den Skiern aus dem Wald hervorgeschossen kam, sich plötzlich in die Luft vorschnellte und dann, alle Viere steif von sich gestreckt, am Hange förmlich Räder schlug. Denn ein »gestandener Sprung« ist ihm hier nicht ein einziges Mal geglückt, dafür war ja der Auslauf viel zu steil.“
Dem Skispringen widmete Gulbransson zudem einige Zeichnungen, darunter eine Titelseite einer Wintersport-Spezialausgabe des „Simplicissimus“ von 1910. Aus seiner Feder stammte zudem eine anlässlich der Olympischen Winterspiele in Lillehammer 1994 herausgegebene Sonderbriefmarke. Sie zeigt den norwegischen Skispringer Birger Ruud, wie er bei den Olympischen Winterspielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen zur Goldmedaille springt.
Irgendwie scheint es, als sollte ihn die Welt des Skisports nicht so ganz loslassen – selbst in Norwegen. Oberhalb von Oslo lebte er in der Nähe des Holmenkollen in einem Haus mit seiner dritten Ehefrau Dagny. Erst 22 Jahre war die Enkelin des norwegischen Dichters Bjørnstjerne Bjørnson, als sie den 50-jährigen Künstler 1923 heiratete. Was ursprünglich als dreiwöchige Hochzeitsreise geplant war, wurde zu einem vierjährigen Aufenthalt in Norwegen. Ein Beleg dafür, wie sehr Gulbransson das Land und „seine geliebten Wälder“ vermisst haben muss.
1927 kehrte er nach München zurück. Ein altes Bauernhaus – der Schererhof – oberhalb des Tegernsees wurde zwei Jahre später sein neues Künstlerdomizil. „Ich wohne hier in einem kleinen Stück Norwegen [...] Der Tegernsee, das ist mein Fjord.“ Hier starb der „Norwegische Troll in Bayern“, wie er auch genannt wurde, 1958 im Alter von 86 Jahren.
Acht Jahre nach seinem Tod wurde das nach ihm benannte Museum im Kurgarten in Tegernsee eröffnet. Entworfen hatte es der bedeutende Architekt Sep Ruf (1908-1982), den auch der Bonner Kanzlerbungalow bekannt machte. Betrieben wird das Museum von der Olaf-Gulbransson-Gesellschaft; es ist eine Zweiggalerie der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München. Das Museum nimmt Gerd Holzheimers aktuelle Publikation zum Anlass, die Dauerausstellung Stück für Stück zu aktualisieren und neu zu bebildern. „Ziel ist es, den Menschen Olaf Gulbransson vorzustellen“, sagt die Leiterin der Provenienzforschung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Andrea Bambi.
2023 steht dem Kunstmuseum ein Jubiläum ins Haus. Schließlich gilt es Gulbranssons 150. Geburtstag zu feiern. Eine neue Ausstellung soll vor allem Werken aus Privatbesitz zeigen. Gerade ist die promovierte Kunsthistorikerin Andrea Bambi auf der Suche nach entsprechenden Exponaten und freut sich über entsprechende Unterstützung: „Wer Kenntnis hat über Werkbestände in Privat- oder Museumsbesitz in Deutschland und Norwegen, darf sich sehr gerne bei uns melden.“
(Kontakt:
Die neugestaltete Dauerausstellung und auch Holzheimers Biographie sparen die Rolle Gulbranssons in der Zeit des Nationalsozialismus nicht aus. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" im Dezember 2021 äußerte sich der Autor über die widersprüchliche Rolle des Künstlers in dieser Zeit und wie er diese publizistisch in seinem aktuellen Buch aufzuarbeiten versucht: „Eigentlich habe ich versucht, nicht zu bewerten, auch nichts zu beschönigen oder gar zu vertuschen, aber auch nicht mit dem Moralfinger herumzufuchteln, sondern alles möglichst differenziert darzustellen. Gulbransson war ein sehr widersprüchlicher Mensch. Aber ja, es gibt den Vorwurf, er habe sich etwas arg an die Nazis rangewanzt, was in dieser pauschalisierten Weise nicht zutrifft.“
Vielleicht liegt es auch an dieser Herangehensweise, dass Gerd Holzheimer auf über 300 Seiten einen beeindruckenden, minutiös recherchierten Querschnitt über Leben und Werk dieses Ausnahmekünstlers und gefeierten „Malerfürsten“ geschaffen hat. Bislang unbekannte Briefe und Dokumente sowie zahlreiche Zeichnungen und Fotografien geben Einblicke in Gulbranssons bayerisch-norwegische Seele, die auch Holzheimer beeindruckt:
„Menschlich ist Olaf Gulbransson einer, den man schnell mag – wenn man einen Menschentyp schätzt, der »eigen« ist, sich nicht um Konventionen schert, seinen eigenen Weg geht und doch zugleich ein zutiefst Liebender ist, ein Mordskerl und eine Seele von Mensch.“
Gerd Holzheimer: Olaf Gulbransson. Eine Biographie. Allitera Verlag, München 2021. 327 Seiten. 28,00 Euro.
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