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Vor 1300 Jahren verschüttet, jetzt im Eis entdeckt: norwegische Skier

Nach Stoffen aus Norwegen zu suchen und dergleichen sogar zu finden, da kommt sich unsereiner manchmal wie ein kleiner Archäologe vor. Besonders schön ist es, wenn es sich dabei um archäologische Themen dreht. Drehen ist hier freilich kein so passendes Wort. Es geht um Ruhendes, um lange Zeit Vergrabenes und Verschüttetes.

So ist es auch hier: Spezialisten sind im vergangenen September im schmelzenden norwegischen Eis auf einen bestens erhaltenen Holzski samt Bindung aus Leder- und Birkenrindenriemen gestoßen. Und noch schöner: Er passt sehr gut zu einem Fund von 2014 und ist wie jener etwa 1300 Jahre alt. Darüber berichtet die Archäologin und Fachjournalistin Karin Schlott in Heft  40/2021 der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“.

Der Fundort liegt in einem Nationalpark mit der Gebirgszone Reinheimen, genauer im Eisfeld Digervarden bei Lesja. Am Werk war dort eine Forschergruppe um Espen Finstad von der Bezirksbehörde Innlandet. Die gehört zu der so bezeichneten Region, die zum 1. 1. 2020 aus den bisherigen fylker Oppland und Hedmark entstand und nördlich von Oslo liegt.

Dieser Ski bildet mit einem anderen, äußerst ähnlichen Ski ein komplettes Paar; das Gegenstück war schon vor sieben Jahren an derselben Stelle fachkundig ausgegraben worden. Die Radiokarbondatierung, ein bewährtes Mittel zur Altersbestimmung, deutete damals auf ein  Alter von etwa 1300 Jahren.

Als Satellitenbilder aus diesem Jahr vermuten ließen, dass sich das Eisfeld Digervarden zurückgezogen hat (offenbar eine Folge des sonst nicht gern beobachteten Klimawandels), sahen sich die Forscherinnen und Forscher die einstige Fundstelle erneut an - und entdeckten tatsächlich das zweite Objekt.

Beide Skier sind ähnlich aufgebaut: Sie sind mit fast 17 Zentimetern recht breit - an Slalom war damals wohl noch nicht zu denken, auch wenn das Wort als slalåm aus dem Norwegischen stammt ebenso wie der Ski samt der Loipe - und haben in die Spitze ein Loch. Der zweite Ski misst 187 Zentimeter, der andere ist etwas kürzer..

Weil beiden Stücke exzellent erhalten sind, können die Archäologen gut rekonstruieren, wie die Skier einst angeschnallt wurden: An der Skibindung wurde das Holz etwas höher belassen und durchbohrt. Durch die Öffnung führte man dann  einen längerer Riemen aus Birkenrinde und einen aus Leder. „Erhalten sind drei Birkenbindungen, die vermutlich ein und dasselbe in sich verdrehte Birkenrindenseil bildeten. Sie dienten als Bindung für die Zehen“, erklärt dem „Spektrum“-Artikel zufolge der Archäologe Lars Holger Pilø, der zusammen mit Espen Finstad das norwegische Projekt „Secrets of the Ice“ leitet.

Weiter meint er: „Der Lederriemen war für die Ferse. Und mit einem Holzstöpsel wurden die Riemen in der Öffnung fixiert.“ Sie waren schon immer praktische veranlagt, die Norweger, man denke  nur, dass zwei von ihnen zuständig waren für die Geburt des Käsehobels (nämlich anno 1925 der Tischler Thor Bjørkland) und der zunächst bügelförmigen Büroklammer (1899 dank des Physikers Johan Vaaler ersonnen und zum deutschen Patent angemeldet). Der „dialog“ hat das schon vor längerer Zeit ausgebreitet.

Wegen der Form der Skier nehmen Pilø und dessen Kollegen an, dass es sich um eine Art Tourenski gehandelt haben muss, mit dem man auf dem Schnee wandern und herabgleiten konnte. Pilø bietet auch dieses These an: Über die Unterseite zieht sich eine lange Furche. Wozu das? „Sie half, den Ski zu steuern. In der Furche konnte sich eine Art Lufttasche unter dem Ski bilden. Dadurch konnte der Ski besser gleiten“, erklärt er. „Und wenn es nass war, half die Furche, Wasser unter dem Ski zu beseitigen.“

Aus ihren Forschungen wissen die Archäologen um Finstad und Pilø, dass die Menschen vor langer, langer Zeit aus diesen Gründen in die eisigen Bergregionen Norwegens aufstiegen: für die Jagd, den Viehtrieb und den Handel. Weshalb aber die Skier von Digervarden zurückgelassen wurden, ist unklar. Hatte das mit einer Lawine zu tun, mit einem anderen Unglück? Menschliche Überreste fand man dort noch nicht. So ist es oft in der Archäologie: Eine Entdeckung löst eine Frage – löst aber weitere aus.

Die Gletscherarchäologen von „Secrets of the Ice“, so ein Hinweis von  Karin Schlott, haben bisher mehr als 3000 Objekte dokumentiert, die sie aus Eis in Innlandet bergen konnten. Datierungen ergaben, dass die ältesten Funde aus der frühen Jungsteinzeit Skandinaviens stammen, also zwischen 4000 bis 3700 v. Chr. - und die jüngsten Objekte reichen bis in unsere Zeit.

Zum Schluss noch etwas tief Archäologisches und Rekordverdächtiges: Unter dem Titel „Ist das der früheste Skifahrer?“ berichtete der „dialog“ im Dezember 2016 davon, dass 1933 der Norweger Gutorm Gjessing (1906-1979) auf der Insel Rodøy im fylke Nordland  eine Felsritzung freigelegt hatte. Sie stammt offensichtlich von etwa 2000 v.Chr., also aus der jüngeren Steinzeit, und zeigt mit wenigen Linien eine Figur auf zwei Skiern.

Bei den Symbolen für die Olympischen Winterspiele in Lillehammer 1994 und auf Medaillen kehrte dieses Motiv wieder. Umso schlimmer, wie die Geschichte weiterging, nämlich mit Frevel und Vandalismus: „Zwei Täter“, so dpa im August 2016, „ritzten  mit einem spitzen Gegenstand in diese Abbildungen.“ Es fehlen einem die Worte.

Eckart Roloff